Sind die Grenzen der Nachhaltigkeit in deutschen Wäldern erreicht?

Holz wartet auf seinen Käufer. Foto: DFV

Der forstliche Nachhaltigkeitsbegriff wurde erstmals im Jahr 1713 von Hans Carl von Carlowitz verwendet. In seinem Ursprung steht er für eine „nachhaltende“ Waldbewirtschaftung, bei der nicht mehr Holz geerntet wird als auch wieder nachwächst. Heute geht die Definition über die frühen Beschreibungen als Natural-, (Holz-)Mengen- oder (Wald-)Flächen-Nachhaltigkeit hinaus. Das moderne Nachhaltigkeitsprinzip schließt vielfältige ökonomische, ökologische und soziale Komponenten mit ein.

Wo stehen die deutschen Wälder heute, wenn wir wichtige Daten und Fakten wie die Entwicklung der Waldflächen oder den Umfang der Nutzung betrachten? Achten wir die Grenzen der Nachhaltigkeit oder überschreiten wir sie?

Waldbesitz mit vielfältigen Strukturen

Der Wald in Deutschland ist weder verstaatlicht noch in der Hand weniger Großkonzerne, wie in manch anderen Ländern der Erde. Eine vielfältige Besitzstruktur bildet das soziale und ökonomische Fundament für Nachhaltigkeit, wie wir sie heute verstehen. Nach der dritten Bundeswaldinventur (BWI3, 2014) befinden sich 48 Prozent der Waldfläche im Privateigentum von rund 2 Millionen Waldbesitzern. 29 Prozent der Waldfläche gehört den Ländern. Der Bund besitzt ca. 403.464 Hektar (ha) Staatswald (entspricht ca. 4 Prozent), der zumeist aus Flächen entlang von Bundeswasserstraßen und Autobahnen besteht oder militärisch genutzte Flächen bedeckt. Daneben gibt es Wälder im Besitz von Körperschaften (darunter Kommunalwälder, insgesamt 19 Prozent).

Waldland Deutschland. Foto: C. Binnewies

Waldfläche nimmt seit fünf Jahrzehnten stark zu

Rund ein Drittel des gesamten Bundesgebietes ist bewaldet. Damit besitzt Deutschland eine Gesamtwaldfläche von ca. 11,4 Mio. Hektar (Quelle: BWI3, 2014). Während die Waldflächen international (insbesondere in den Tropen der Südhalbkugel) immer stärker abnehmen, ist in Deutschland seit Jahrzehnten eine geringe, aber stetige Waldzunahme zu beobachten, die auf eine kontrollierte, verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung zurückzuführen ist.

Die Waldfläche hat in den letzten fünf Jahrzehnten um deutlich mehr als eine Million Hektar zugenommen. Seit den 1990er Jahren wächst die Waldfläche in Deutschland durchschnittlich um 176 Quadratkilometer pro Jahr. Das entspricht Jahr für Jahr in etwa der Fläche der Stadt Karlsruhe.

Unter den Flächenländern haben Rheinland-Pfalz und Hessen mit 42 Prozent den höchsten, Schleswig-Holstein mit gut 11 Prozent den niedrigsten Waldanteil.

Holzvorrat: Deutschland ist Europameister

Nach der jüngsten Bundeswaldinventur ist der Holzvorrat in Deutschlands Wäldern so hoch wie nie zuvor. Innerhalb von zehn Jahren ist er bis 2012 um 7 % weiter angestiegen. Mit einem Vorrat von 336 m3 pro Hektar liegt Deutschland nach der Schweiz und Österreich an der Spitze der europäischen Länder. Mit 3,7 Mrd. m3 Gesamtvorrat steht im deutschen Wald mehr Holz als in jedem anderen Land der Europäischen Union.  Mit Ausnahme der Fichte sind die Vorräte der einzelnen Baumarten angestiegen – bei der Kiefer um 8 % (55 Mio. m³), bei der Buche um 10 % (58 Mio. m³) und bei der Eiche um 16 % (50 Mio. m³). Die größte relative Vorratszunahme verzeichnet die Douglasie mit 47 %. Bei geringer Fläche hat der Douglasien-Vorrat um 24 Mio. m3 zugenommen. Der Grund für diese hohe Vorratszunahme liegt in der Produktivität der Baumart und dem hohen Anteil wuchskräftiger junger Waldbestände, die erst in kommenden Jahrzehnten ihr Erntealter erreichen. (Quelle: Bundeswaldinventur 3)

Holzzuwachs liegt über der Holzernte

Der Holzvorrat ist nach der BWI 3 seit 2002 weiter angestiegen. Es wurde weniger Holz genutzt als nachgewachsen ist. Holznutzung und  natürliches Absterben von Bäumen erreichen insgesamt 87 % des Zuwachses. Die restlichen 13 % gehen in den Vorratsaufbau. Bei den meisten Baumarten beträgt dieses Verhältnis zwischen 55 % und 80 %. Bei der Fichte liegen Holznutzung und natürliches Absterben dagegen um 15 % über dem Zuwachs. Ihr Vorrat wurde damit reduziert. Dies ist u. a. eine Folge der forstpolitischen Zielsetzung und der waldbaulichen Erfordernisse (Bodenpflege und Klimaänderung).

Im Zeitraum von 2002 bis 2012 sind in Deutschland durchschnittlich 76 Mio. m3 Rohholz (Erntefestmeter ohne Rinde) pro Jahr genutzt worden. Insbesondere die Privatwaldeigentümer konnten ihren Holzeinschlag steigern und nutzten den Wald durchschnittlich mit derselben Intensität wie staatliche Forstbetriebe den Landeswald. Im Landeswald ist der Holzeinschlag unverändert bei 98 % des Zuwachses.

Eine Übernutzung des Waldes findet damit nicht statt. Dies würde auch den Wald- und Naturschutzgesetzen des Bundes und der Länder widersprechen, verschiedenen Europäischen Richtlinien und Regelungen sowie – zu allererst! – dem Ethos und der fachlichen Praxis der Waldbesitzer.

Die Fichte – ein Sonderfall

Die Fichte ist die einzige Baumart, bei der der Vorrat seit 2002 abgenommen hat, und zwar um 4 %. Gleichzeitig hat die Fichtenfläche abgenommen. Hier liegen Holznutzung und natürliches Absterben um 15 % über dem Zuwachs.Dies entspricht der waldbaulichen und forstpolitischen Zielsetzung der letzten Jahre. Sie wurde beschleunigt durch Stürme und Käfermassenvermehrung. Besonders stark nahm der Fichtenvorrat in Nordrhein-Westfalen ab, wo der Orkan Kyrill im Januar 2007 rund 15,7 Mio. Festmeter, zumeist Fichtenreinbestände, auf einer Fläche von etwa 50.000 Hektar geworfen oder gebrochen hat. (Quelle: Bundeswaldinventur 3)

 

Weitere Informationen finden Sie in zwei Beiträgen aus der November-Ausgabe 2013 des Magazins proWALD:

Dr. Markus Ziegeler: Vorratsentwicklung in unseren Wäldern - ein Perpetuum mobile?

Prof. Bastian Kaiser: Wie nachhaltig ist die forstliche Nachhaltigkeit?