Zeckenalarm! Wie groß ist die Gefahr im Wald?

Interview mit Revierförster Stefan Befeld

Sobald die Temperaturen steigen, vermehren sich die Zecken rasant. Foto: Jan Preller, Wald und Holz NRW

Wenn die Temperaturen steigen, passieren zwei Dinge gleichzeitig, die schlecht zusammenpassen: Viele Menschen suchen im Wald Erholung und angenehme Abkühlung – und die Zecken vermehren sich rasant, stets hungrig auf das Blut von Säugetieren und Menschen. 16 Fragen an Revierförster Stefan Befeld rund um das Problem mit den kleinen, nicht ungefährlichen Quälgeistern.

Frage 1: Herr Befeld, wann müssen wir uns im Wald vor Zecken in Acht nehmen?
Stefan Befeld: Früher waren vor allem Mai, Juni und Juli betroffen. Doch inzwischen geht die Zeckensaison bei uns fast ums das ganze Jahr. Das liegt an den milden Wintern, die uns wohl der Klimawandel beschert hat. Sobald es wärmer ist als 8 °C und feucht genug, lauern die Zecken auf Wirte.

Frage 2: Stechen Zecken oder beißen sie?
Stefan Befeld: Sie stechen. Sie schlitzen die Haut auf und bohren dann ihre Mundwerkzeuge hinein. Obwohl die viel dicker sind als bei einer Mücke, bemerken wir das zunächst kaum, weil der Speichel der Zecke betäubend wirkt.

Frage 3: Wie groß ist die Gefahr, sich durch Zeckenstiche mit gefährlichen Krankheiten zu infizieren?
Stefan Befeld: Jedes Jahr erkranken in Deutschland – regional schwankend – 15 - 50 Menschen pro 100.000 Einwohner an der sog. Lyme-Borreliose. Das ist eine der häufigsten Zoonosen, also von Tieren auf Menschen übertragenen Krankheiten in Mitteleuropa. In Nordrhein-Westfalen sind nach Schätzungen von Biologen etwa 10 Prozent der Holzböcke, der häufigsten Zeckenart, Überträger von Borrelien. Diese Bakterien lösen die Lyme-Borreliose aus.

Frage 4: Heißt das, jeder zehnte Zeckenstich führt zu Borreliose?
Stefan Befeld: Nein, so schlimm ist es nicht. Nicht alle Zecken sind Holzböcke, und nur diese Art ist gefährlich. Dann hängt die Infektionsgefahr davon ab, wie lange die Zecke in der Haut bleibt. Wenn Sie die Zecke schnell bemerken und entfernen, ist die Infektionsgefahr gering. Bleibt eine Überträgerzecke aber mehrere Stunden in der Haut, müssen Sie davon ausgehen, dass Sie mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit infiziert werden. Der Berufsverband Deutscher Internisten e.V. berichtet von 1,5 – 6 Borrelieninfektionen pro 100 Zeckenstiche. Viele davon zeigen aber keinen auffälligen Krankheitsverlauf. Die Mediziner berichten von 0,3 – 1,4 manifestierten Erkrankungsfällen pro 100 Zeckenstiche.

Frage 5: Ist die Gefahr gestiegen?
Stefan Befeld: Ja, die Zahl der Borreliose-Infektionen hat in den 2000er Jahren stetig zugenommen. Das liegt wohl hauptsächlich daran, dass die Leute häufiger in den Wald gehen, durch Modesportarten wie Mountain-Biking oder Geocaching oder zum Brennholzsammeln.
Försterinnen und Förster und Forstwirte und Forstwirtinnen von Wald und Holz NRW müssen Zeckenstiche in einem Verbandbuch dokumentieren. In den letzten Jahren (2014-2018) ist die Anzahl der dokumentierten Zeckensticke um 10% pro Jahr gestiegen.

Wie kann ich mich vor Zecken schützen?
Stefan Befeld: Am besten schützen Sie sich, indem Sie auf den Wegen bleiben. Die Zecken lauern vor allem in Hunde- und Katzenhöhe im hohen Gras und in Gebüschen. Von Bäumen droht keine Zeckengefahr.

Frage 6: Als Förster müssen Sie aber doch auch mal ins Unterholz gehen?
Stefan Befeld: Ja. Deshalb trage ich im Gelände immer lange Hosen und lange Ärmel und ziehe die Strümpfe über die Hosenbeine, damit die Zecken nirgendwo reinkommen. Es hilft auch, nach einem Ausflug ins Gras Hosenbeine und Schuhe abzusuchen oder mit einer Kleiderbürste abzubürsten. Helle Kleidung ist besser als dunkle, weil man darauf die dunklen Zecken gut erkennen kann.

Frage 7: Sind Zecken eher im Wald oder eher in der Wiese?
Stefan Befeld: Am ehesten in hohem Gras und kleinen Gebüschen, wie man sie häufig an Waldrändern, Wegrändern im Wald, Bachufern und Waldlichtungen findet.

Frage 8: Springen Zecken Menschen aktiv an?
Stefan Befeld: Nein. Zecken können nicht springen. Sie riechen, wenn ein Säugetier oder Mensch in der Nähe ist, und lassen sich dann von Grashalmen oder Ästen eines Busches herunterfallen. Wenn sie dabei zum Beispiel auf Ihre Hose fallen, können sie von dort unters Hosenbein krabbeln, wenn das unten offen ist.

Frage 9: Wie bemerke ich einen Zeckenstich?
Stefan Befeld: Das ist eine wichtige Frage, denn es kommt darauf an, die Zecke nach einem Stich schnell zu entfernen. Untersuchen Sie, wenn Sie im Gelände waren, direkt nach der Wanderung Ihre Kniekehlen, Achselhöhlen, die Leistengegend und den Schritt. Das sind die Stellen, wo sich die Biester am liebsten festsetzen, weil dort die Haut dünn ist. Auch der Haaransatz kommt in Frage.

Frage 10: Wie kriege ich die Zecke aus der Haut heraus?
Stefan Befeld: Dafür gibt es im Prinzip drei Methoden und Werkzeuge: die Pinzette, die Zeckenzange und die Zeckenkarte. Eins davon sollten Sie, wenn Sie ins Gelände gehen, immer dabei haben. Die Pinzette sollte aus Edelstahl, spitz und am Ende etwas gebogen sein. Damit greifen Sie die Zecke direkt über der Haut und ziehen sie langsam mit leichter Drehung heraus. Ähnlich geht es mit der Zeckenzange, die aber meist bei Hunden und Katzen verwendet wird. Die Zeckenkarte aus Plastik hat eine Art Mund mit schlitzförmigem Spalt. Sie schieben sie so unter der Zecke durch, dass sie am Ende des Spalts hängen bleibt, und ziehen sie langsam, leicht drehend, heraus. Manche Leute schaffen es auch, die Zecke mit den Fingernägeln zu packen.

Frage 11: Und dann? Was mache ich damit?
Stefan Befeld: Töten. Bewährt hat sich die Methode, sie in ein gefaltetes Stück Papier zu legen und mit dem Rand eines Trinkglases drüber zugehen, um sie zu zerquetschen. Sie einfach ins Klo zu werfen, ist nicht sicher, weil sie da wieder herauskommen kann. In FSME-Risikogebieten soll man die toten Zecken für Diagnosezwecke aufheben und das Datum des Zeckenstichs notieren.

Frage 12: FSME? Ist das die gefürchtete Hirnhautentzündung?
Stefan Befeld: Ja. Zecken können auch FSME übertragen, die Frühsommer-Meningoenzephalitis. Das ist eine Viruserkrankung, die schlimmstenfalls tödlich verlaufen oder schwere Hirnschäden verursachen kann. Sie ist viel seltener als die Borreliose; es gibt etwa 550 Infektionen pro Jahr. FSME-Viren treten fast nur in bestimmten Risikogebieten auf: vor allem in Österreich, der nördlichen Schweiz, Baden-Württemberg, Bayern und einzelnen Kreisen in Hessen und Rheinland-Pfalz. Der hessische Kreis Marburg-Biedenkopf ist das einzige Risikogebiet, das an Nordrhein-Westfalen angrenzt.
Die meldepflichtige FSME-Erkrankung wurde in den Jahren 2016 und 2017 insgesamt 16-mal in NRW angezeigt. Im Jahr 2019 gab es bis einschließlich der 16 Kalenderwoche keine FSME-Erkrankung. Aus den Zahlen wird eindeutig, dass NRW bezogen auf eine potentiell mögliche FSME-Erkrankung nicht als Risikogebiet eingestuft wird.
In den Risikogebieten wird die FSME-Schutzimpfung empfohlen. Sie schützt gut vor FSME, aber nicht vor Borreliose.

Frage 13: Ist es schlimm, wenn beim Entfernen der Zeckenkopf in der Haut zurückbleibt?
Stefan Befeld: Es bleibt nicht wirklich der Kopf zurück, sondern manchmal ein Teil der Mundwerkzeuge. Das ist kein Grund zur Panik. Das verschwindet normalerweise nach ein paar Tagen.

Frage 14: Wann sollte ich zum Arzt gehen?
Stefan Befeld: Wenn der Stich tagelang gerötet bleibt und juckt, oder wenn sich eine ringförmige oder kreisförmige Hautrötung um den Stich herum bildet, die sog. Wanderröte. Außerdem können erkältungsähnliche Symptome auftreten wie Kopfschmerzen, Fieber, Muskel- und Gelenkschmerzen.

Frage 15: Heißt das, man soll lieber gar nicht in den Wald gehen?
Stefan Befeld: Nein, das wäre übertrieben. Es gibt ja viele Möglichkeiten, sich vor Zecken und vor der Infizierung zu schützen. Sie sollten nur ein wenig aufpassen.

Daten und Fakten
• Über 800 Zeckenarten gibt es weltweit, in Deutschland fünf. Am häufigsten: der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus). Er sticht auch am häufgsten Menschen.
• Zecken leben meist an Waldrändern, Wegrändern, in Waldlichtungen mit hohem Gras und warten oft monatelang auf Wirte. Sie lassen sich vom Gras oder von Gebüschen abstreifen.
• Im Labor überlebten Zecken bis zu 10 Jahre ohne Nahrung.
• 60.000-70.000 Menschen pro Jahr erkranken in Deutschland nach Schätzungen an Lyme-Borreliose.
• 420 Erkrankungen mit FSME wurden 2013 gemeldet.
• 142 Kreise in Deutschland gelten derzeit als FSME-Risikogebiete; 72 davon in Bayern, 43 in Baden-Württemberg, weitere in Hessen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Saarland.

www.wald-und-holz.nrw.de