Warum sind Bäume und Äste oft so fleckig?

So mancher Waldbesucher wundert sich über gelbe, grüne, rote oder graue Flecken an Fichten, Buchen, Eichen & Co. Kein Grund zur Sorge – im Gegenteil!

Die filigran anmutende Afrikanische Grauschüsselflechte finden Wanderer z. B. an Bäumen nahe der Drachenschlucht bei Eisenach. Foto: ThüringenForst

Erfurt (hs): Sie sind erst auf den zweiten Blick nahezu überall im Wald zu entdecken. Mit einer Vielfalt an Farben und Formen, die das Auge des Waldfreundes erfreuen: Flechten. Auf Stämmen verteilt, oft in Rindenspalten versteckt, Äste komplett umhüllend machen manche Arten bisweilen aus einem Wald einen „Märchenwald“. Geheimnisvoll sind Flechten, die oft nur wenige Millimeter pro Jahr wachsen, aber zu den langlebigsten Erdbewohnern gehören, allemal. Sie sehen aus wie Pflanzen, sind aber keine. Flechten sind eine eigene Lebensform, eine Gemeinschaft aus Pilz und Alge bzw. Pilz und Bakterium. Während der Pilz die Flechte stützt und festigt und ihr einen Körper gibt, versorgen Alge bzw. Bakterium durch Photosynthese den Pilz mit Nährstoffen – eine interessante Lebensgemeinschaft.

 

Flechten schaden den Waldbäumen nicht

„Bisweilen sorgen sich Waldbesucher und auch Waldbesitzer über Flechtenvorkommen auf den Bäumen und setzen dies mit Schadbefall gleich. Diese Sorge ist unbegründet: Flechten schaden den besiedelten Bäumen, häufig Eschen, Fichten, Lärchen oder Wildobst, nicht“, so Volker Gebhardt, ThüringenForst-Vorstand. Flechten nutzen deren Stämme und Äste, aber auch Steine, Mauerwerk oder auch den Boden, als Unterlage, entziehen dem Baum -im Gegensatz etwa zur Mistel- aber keine Nährstoffe. Flechten sind sog. Aufsitzer-Organismen und besiedeln z. B. auch Totholz. Manche dieser Lebensformen, von denen es allein in Thüringen über tausend verschiedene Arten gibt, reagieren hingegen sehr sensibel auf Luftverschmutzung. Die Teamarbeit zwischen Pilz und Alge etwa, basiert auf einem ausgeklügelten Botenstoffaustausch, der dem Pilz die Zuführung von Kohlenhydraten ermöglicht. Erhöhte Luftschadstoffe, wie etwa Schwefeldioxid, bringen dieses Gleichgewicht in Schieflage, Pilz und Alge sterben ab. Zahlreiche Flechtenarten waren bis in die 90er Jahre verschollen bzw. ausgestorben. Dies bedeutet, dass die in den letzten Jahren zu beobachtende Zunahme von Flechten ein Hinweis auf eine zunehmend saubere Luft ist. Derartige Weiserflechten gelten deshalb als sog. Bioindikatoren. Die Zusammensetzung bestimmter Flechtenarten an einem Ort lässt sogar Rückschlüsse auf einen quantitativen Luftschadstoff zu. Hierzu gibt es eigens eine technische Richtlinie des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). Einige Physcia- und Parmeliaarten sind außerdem verlässliche Zeiger für pflanzenverfügbaren Stickstoff im Waldboden.

 

Flechten treten als Gemeinschaft extrem vielfältig und bunt auf

Je nachdem, welcher Pilz mit welcher Alge oder Bakterium eine Gemeinschaft bildet, ergeben sich charakteristische Erscheinungsformen: Krustenflechten, Blattflechten, Strauchflechten oder auch Gallertflechten. Da bestimmte Flechtenarten bisweilen an feuchteren Standorten auch mit Moosen vergesellschaftet sind, kommt es oft genug auch zu Verwechslungen dieser beiden außergewöhnlichen und hochinteressanten Lebensformen. So ist das bekannte, pharmazeutisch genutzte Isländische Moos (Cetraria islandica) eigentlich eine Flechte.

Wie robust Flechten sind, hat zuletzt die Europäische Weltraumagentur (ESA) bewiesen: Sie hat die Zierliche Gelbflechte auf der ISS rund 14 Tage im Weltraum ausgesetzt. Sie überlebte diese lebensfeindlichen Bedingungen in ca. 400 km Höhe. Ganz anders Carl von Linné: Er bezeichnete Flechten als das „armseligste Bauernvolk“ der Vegetation.

 

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