Gibt es in Thüringen eigentlich richtigen Urwald?

Immer wieder wird in Thüringen von Urwäldern gesprochen. Auch Urwaldpfade gibt es im Freistaat. Ist dies wissenschaftlich haltbar?

 

Erfurt (hs): Die Wälder im Freistaat sind sämtlich ein Produkt jahrhundertelanger Nutzung durch den Menschen. Urwälder im Sinne von Wäldern, die weder bewirtschaftet noch vom Menschen beeinflusst wurden, findet man auf unserem Kontinent, wenn überhaupt, nur noch regional begrenzt in Osteuropa. Hingegen haben gerade die Wälder in Mitteleuropa, insbesondere im Mittelalter, eine starke Prägung durch Rodung und Übernutzung, aber auch Wiederbewaldung erfahren. Speziell der Montanbergbau hat in Mitteldeutschland im 18. Jahrhundert zu einer Waldzerstörung in heute kaum vorstellbarem Ausmaß geführt. Erst als die Forstwirtschaft vor über 300 Jahren das Wirtschaftsprinzip der Nachhaltigkeit eingeführt hatte, haben sich wieder geschlossene, vorratsreiche und vielfältige Wälder entwickelt. Deutlich vom Menschen beeinflusst, prägen diese Kulturwälder heute allgegenwärtig unser Verständnis von Waldnatur.

 

Aktuell erntet die ThüringenForst-AöR auf rund 8 % ihrer Waldfläche kein Holz mehr. Dort entwickelt sich Wald weitgehend ohne direkte Eingriffe des Menschen – unter strenger Beobachtung von Forstwissenschaftlern. „Bis hier Urwald entsteht, vergehen vermutlich mehrere Jahrhunderte und selbst dann werden diese Wälder vom Menschen weiter beeinflusst, wie etwa durch Emissionen oder auch touristische Nutzungen“, sagt Volker Gebhardt. Bisher wurden 92 % des Staatswaldes nachhaltig bewirtschaftet und liefert den so wichtigen Roh-, Bau- und Werkstoff sowie Energieträger Holz. „Unsere nachhaltig bewirtschafteten und naturnahen Wälder verfügen über einen Artenreichtum, der unbewirtschafteten Wäldern in nichts nachsteht, im Gegenteil“, so Gebhardt weiter. Renommierte wissenschaftliche Veröffentlichungen zeigen regelmäßig, dass die biologische Vielfalt in Kulturwäldern die der sog. unberührten Waldnatur sogar übertreffen können.