Berlin, 05. April 2013: Ein Phänomen beobachten Forstleute bereits seit einigen Jahren: Wie in alten Zeiten gehen Menschen wieder in den Wald und sammeln Pilze, Kräuter und Beeren. Über die Ursachen einer solchen neuen „Volksbewegung“ lassen sich nur Vermutungen anstellen. Ist es der Trend zur Bio-Kost und damit zu einem generellen „Zurück zur Natur“? Die Wissenschaft nähert sich den Schätzen des Waldes derweil von einer anderen Seite: Wirkstoffe wie das Salicin aus der Weidenrinde, das seinerzeit zur Entwicklung von Aspirin führte, können Medizin und Pharmazie zu Fortschritten verhelfen.
Die im Wald wachsenden Wildpflanzen und Früchte sind in Bezug auf ihre Heilwirkung und ihren Ernährungswert den in Kulturen angebauten Artverwandten eindeutig überlegen. Heilpflanzen finden im Wald und auf Waldwiesen die besten Standortbedingungen und verfügen über mehr Energie, Wirkstoffe und Heilkräfte als angebaute Pflanzen, aus denen die Präparate in den Drogerien und Apotheken zumeist bestehen. So enthalten die Waldpflanzen und -kräuter noch die insbesondere für die Verdauung besonders wertvollen natürlichen Bitterstoffe, die in den domestizierten Formen weggezüchtet worden sind.
Das Spektrum der Anwendungsmöglichkeiten der Waldpflanzen ist enorm: Efeu, Schlüsselblume und Lungenkraut helfen gegen Erkrankungen der Atemwege, Waldmeister ist ein probates Mittel gegen Durchblutungsstörungen, Himbeere und Brombeere können gegen Durchfall wirkungsvoll eingesetzt werden, Misteln bei hohem Blutdruck und der Spitzwegerich bei Erkältungen und Bronchitis.
Heimische Arten stabilisieren den Wald
Aber die „Apotheke Wald“ ist keine Selbstverständlichkeit. Es bedarf waldbaulicher Maßnahmen, die diesen Schatz für die Gesundheit der Menschen auch weiterhin sichern. Mitte der 80er Jahren, als das Thema Waldsterben den Höhepunkt erreichte, berief der Deutsche Bundestag die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Forstliche Genressourcen und Forstsaatgutrecht“ ein, die 1987 ein Konzept veröffentlichte, wie unsere Baum-, Strauch- und Kräuterressourcen wirksam für die Zukunft erhalten werden könnten. Im Jahr 2000 erschien eine überarbeitete Neufassung dieses Konzepts, das Basis des „Nationalen Fachprogramms für forstgenetische Ressourcen“ als Teil der „Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt“ werden sollte.
Die Grundprinzipien dieser Strategie werden von den Landesforstverwaltungen in ihren Leitlinien für die gute forstliche Praxis umgesetzt. Wichtige Aspekte sind dabei der Schutz und die Förderung heimischer Arten gegenüber invasiven, d. h. eingewanderten, und eingeführten, d. h. von Menschen bewusst angebauten Pflanzen, die die heimische biologische Vielfalt bedrohen.
Die genetische Vielfalt ist für die Forstwirtschaft eine unverzichtbare Grundlage für den Aufbau von stabilen und gesunden Wäldern der Zukunft. Genetisch vielfältige Waldbestände sind an die mitteleuropäischen Umweltverhältnisse im Laufe der Jahrtausende perfekt angepasst. Viele wertvolle heimische Straucharten wie Weißdorn, Holunder, Schlehe oder Kreuzdorn werden jedoch seltener, weil im Rahmen der Landschaftspflege aus Kostengründen zunehmend Saatgut aus dem Ausland, bevorzugt aus Südosteuropa, verwendet wird. Diese ausländischen Arten verdrängen vor allem auch aufgrund der Samenverbreitung durch Vögel die mitteleuropäischen Sträucher.
Die mangelnde Anpassung der ausländischen Sträucher ist mittel- und langfristig ein großer Unsicherheitsfaktor. Bei der Waldrandgestaltung erweisen sich Pflanzen fremder Herkunft gegenüber hiesigen Wetterextremen und den hier vorkommenden Schädlingen zumeist als nicht stabil bzw. als nicht resistent.
Nachhaltigkeit im Wald wird 300
Der Aufbau von stabilen Wäldern mit heimischen Arten und die Erhaltung der ursprünglichen genetischen Vielfalt unserer Wälder ist ein Markenzeichen der modernen deutschen Forstwirtschaft. Dabei folgt sie dem Prinzip der Nachhaltigkeit, das sie vor genau 300 Jahren selbst aus der Taufe gehoben hat.
Im Jahr 1713 veröffentlichte Hans Carl von Carlowitz, sächsischer Oberberghauptmann und vertraut mit den forstlichen Kenntnissen seiner Zeit, die Schrift „Sylvicultura oeconomica“. Sie war das erste geschlossene Werk über die Forstwirtschaft zu einer Zeit, als das Wachstum der Städte und der Bergbau in einigen Teilen Europas bereits zu einem Mangel an Holz führten und eine Energiekrise drohte. Carlowitz schuf den Begriff und das Leitbild der „Nachhaltigkeit“ und formulierte hier den Grundgedanken, dass man „pfleglich“ mit der Natur und ihren Rohstoffen umgehen sollte.
Die Prägung des Nachhaltigkeitsbegriffes gibt 2013 der Forstbranche Grund zum Feiern. Zahlreiche Veranstaltungen markieren den runden Geburtstag, der unter dem Slogan „Sie finden Nachhaltigkeit modern? Wir auch – seit 300 Jahren“ steht. Forstleute und Waldbesitzer diskutieren das Thema Nachhaltigkeit und stellen ihr tradiertes Berufsethos und vielfältiges Tun der Öffentlichkeit vor.
Dazu gehört auch das Wissen um den genetischen Schatz, den der Wald birgt. Die sorgsam bewahrte Pflanzen- und Baumvielfalt könnte etwa der Medizin zu neuen Wirkstoffen verhelfen. So wie es beispielsweise 1897 geschah, als das Salicin aus Weidenrinde als Vorstufe des Wirkstoffs Acetylsalicylsäure erkannt wurde und zur Entwicklung von Aspirin führte.
Den neuen Trend, Kräutern, Pilzen und Beeren in der „Apotheke Wald“ zu sammeln, wird die Fortbranche nutzen, die Waldbesucher auch über weitere Themen zu informieren: von der Artenvielfalt und dem Schutz der Ökosysteme über Luftreinhaltung, Boden- und Gewässerschutz bis hin zur naturverträglichen Bereitstellung des gefragten Roh- und Brennstoffes Holz. Ihr Ziel ist dabei, das Bewusstsein der Menschen für den Wald und seine Ressourcen zu schärfen - so wie Hans Carl von Carlowitz es schon vor 300 Jahren verfolgte.
Das Jubiläumsjahr des Deutschen Forstwirtschaftsrates (DFWR) wird finanziell unterstützt durch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV).